Strohgeflecht-Bleicherei Hermann Feldhaus - Ernemann Fotoplattenfabrik
Das heutige Areal des Ernemann-Blocks war Anfang des 20. Jahrhunderts nach der Hutfabrik Behrens, die 1874 in Betrieb ging, einer der ersten Standorte industrieller Fertigung in Bannewitz. Hermann Feldhaus stellte mit Datum vom 14. Juni 1906 an den „Gemeinderat zu Bannewitz bei Dresden“ einen Bauantrag zur Errichtung einer „Fabrikanlage zur Strohgeflechtbleiche“ am Sandweg (heute Windbergstraße). Der Bauantrag wurde am 17. Oktober 1906 genehmigt. Errichtet wurden ein Bleichereigebäude, ein Kessel- und Maschinenhaus, eine Schwefelkammer, ein Lagerhaus, eine Remise, ein Stallgebäude mit Anbau, ein Trockenschuppen und das Kontor- und Wohngebäude.
Im Februar 1907 bekam außerdem der aus Dessau stammende Ingenieur Orloff Hansen die Genehmigung zur Errichtung einer Anlage zur Herstellung des Bleichmittels Wasserstoffperoxid auf dem gleichen Gelände. Im Juli 1907 wurde die Firma „Chemische Fabrik Bannewitz Orloff Hansen“ gegründet.
Im Laufe des Jahres 1907 wurde die Produktion in der gesamten Anlage aufgenommen. Die Strohgeflechtstreifen waren ein Vorprodukt für die Strohhutproduktion. Im Lohgerbermuseum Dippoldiswalde sind in einer Vitrine solche geflochtene Streifen in vielfältigen Farbnuancen ausgestellt, aus denen auch Damentaschen hergestellt wurden. Strohhüte sollen in Sachsen schon seit dem 16. Jahrhundert benutzt worden sein. Es wurde ursprünglich einheimisches Weizen- oder Roggenstroh verwendet. Schon im 19. Jahrhundert kamen aber auch Reisstroh aus China, Hanf aus Japan oder Fasern von Toquilla Palmen (Panama Stroh) aus Mittelamerika dazu.
Das nicht ganz unbedenkliche Abwasser der Fabrik wurde nicht in den Nöthnitzbach abgelassen. Es gab eine amtliche Festlegung, das Abwasser in den Poisenbach zu leiten. Das erforderte eine Hebeanlage mit einer Leitung Richtung Horkenstraße. Im Amselgrund floss das Abwasser in die neu angelegten Rieselfelder, um dann in den Poisenbach zu gelangen.
Die Firma Orloff Hansen zog bereits 1912 auf das Grundstück des späteren Kompressorenbau. Das ist aber der Beginn einer anderen Geschichte, die später zu erzählen ist.
Bereits im Jahr 1917 wurde die Produktion von gebleichtem Strohgeflecht bei der Firma Feldhaus in Bannewitz wieder eingestellt. Die Firma Feldhaus existierte in Dresden noch bis 1952 als Händler von importierten Strohgeflechten und weiteren Artikeln für die Hutproduktion.
Nach kurzem Leerstand konnten die Fabrikgebäude der Strohgeflecht-Bleicherei an die Ernemann Werke AG verkauft werden. Die im Vergleich zum Elbtal sauberere Luft in Bannewitz galt als Vorteil für die Produktion von Fotoplatten. Im Jahr 1920 begann nach Umbauarbeiten die Herstellung von Fotoplatten. Es wurde eine sehr kompakte und von äußeren Einflüssen abgeschirmte Produktionslinie aufgebaut, an deren Ende nach 45 bis 60 Minuten verpackungsbereite Fotoplatten produziert waren. Sozusagen ein Vorgänger der Reinräume, wie wir sie heute aus der Chipproduktion kennen. Die Grafik aus dem Jahr 1922 zeigt die Fabrik nach dem Umbau für die Belange der Produktion von Fotoplatten. An Stelle der Trockengerüste für das Strohgeflecht ist eine weitere Halle entstanden. Außerdem noch ein zweiter großer Schornstein. Rauchende Schornsteine waren damals stolze Wahrzeichen des Fortschritts. Als Transportmittel sind Lastkraftwagen statt Pferdegespanne zu sehen. Der interessierte Betrachter sieht sicher noch weitere Veränderungen, die sich ab 1908 innerhalb von etwa 15 Jahren vollzogen haben.
Der Bedarf an Fotoplatten war jedoch sehr stark rückläufig, da Rollfilme immer stärkere Verbreitung fanden. Die Produktion von Fotoplatten wurde in Bannewitz bereits am 30. Juni 1925 wieder stillgelegt. Das Personal konnte vollständig in das Stammhaus der Ernemann Werke AG in Dresden wechseln. Am 1. Oktober 1925 erfolgte die Fusion einiger Betriebe der Kameraproduktion, auch der Ernemann Werke AG, zur Zeiss-Ikon AG.
Die leerstehenden Fabrikanlagen kamen damit in den Besitz der Zeiss-Ikon AG. Nach vielen gescheiterten Verkaufsversuchen wurde das Fabrikgelände nach 11 Jahren Leerstand im Jahr 1936 an den Architekten Ernst Berger aus Heidenau verkauft. Er projektierte und realisierte auf dem Gelände den Bau von 57 Wohnungen, die 1937 und 1938 bezogen werden konnten. Dabei wurde ein Teil der Bausubstanz der ehemaligen Fabrikgebäude einbezogen.
Weitgehend unverändert und damit als ältester Zeuge des ersten Fabrikbaues steht heute noch das 1907 erbaute Kontor- und Wohngebäude.
Rückblickend kann man den Umbau zum Wohnquartier, das heute als „Ernemann-Block“ bezeichnet wird, als Erfolgsgeschichte ansehen. Der „Ernemann-Block“ wird seit 86 Jahren zum Wohnen genutzt, während die beiden vorhergehenden industriellen Nutzungen auf diesem Gelände nur 11 bzw. 5 Jahre Bestand hatten.
Günter Hausmann 01.03.2024